24. März 2015
Wie sozial sind soziale Medien?
Facebook, Twitter und Co. sind nach offizieller Lesart soziale Medien. Warum der Begriff falsch ist.
Firmen, Behörden und wohltätige Organisationen nutzen Social-Media-Plattformen auf jede erdenkliche Art: für Marketing, Personalsuche, Themen-Monitoring, Ideenaustausch, Produktentwicklung, Kundenservice, Beschwerdemanagement oder Fundraising. Doch was ist an solchen Tätigkeiten sozial? Kurz gesagt: alles.
Missverständlicher Begriff
Sozial bedeutet nach Duden primär gesellschaftlich. Sozial ist demnach, was mit dem Zusammenleben der Menschen zu tun hat. Darum sind die sozialen Medien sozial – sie schaffen Kontakte und prägen die Gesellschaft. Die erweiterte Bedeutung von sozial – hilfsbereit, gerecht, menschenfreundlich – ist hier nicht gemeint. Schon deshalb, weil der Begriff aus dem Englischen stammt. Das Wort social bedeutet gesellig oder gesellschaftlich, hat aber keine ethische Dimension wie das deutsche sozial. Es gibt einiges, was den Kritikern sozialer Medien sauer aufstösst: Mobbing, Identitätsklau, mangelnder Persönlichkeitsschutz, ehrverletzende Kampagnen. Dennoch sind die «sozialen Medien» sozial. Wie andere soziale Phänomene haben sie gute und schlechte Seiten. Falsch ist der Begriff soziale Medien trotzdem. Denn er sagt, dass es nichtsoziale Medien gibt – ein haltloser Gedanke, denn jede Mediengattung spielt eine Rolle in der Gesellschaft. Folglich sind alle Medien sozial. Die «sozialen Medien» beanspruchen die soziale Komponente zu Unrecht für sich allein und schliessen andere Medien aus. Die soziale Funktion wird auf interaktive Webplattformen reduziert.
Sozial durch selbstgemachten Inhalt?
Ein Argument, das man zur Ehrenrettung des Begriffs anführen könnte: Soziale Medien tragen ihren Namen, weil die Nutzer im Social Web die Inhalte selber herstellen; es beteiligen sich also grosse Teile der Gesellschaft an der Medienproduktion. Aber: Seit wann entscheidet die Zahl der Beteiligten über den gesellschaftlichen Charakter einer Sache? Ist eine Fussball-WM sozialer als ein Grümpelturnier?
Trotz der Bedenken kommen wir um die Begriffe soziale Medien und Social Media nicht herum, sie haben sich etabliert, zumindest vorläufig. Angesichts des Tempos, mit dem sich das Internet verändert, könnte es nicht erstaunen, wenn schon bald neue Schlagwörter dominieren würden.
Foto: Beat Hühnli