2. Oktober 2010
Ist die Zukunft digital?
Die elektronische Information boomt. Das ist kein Grund, die gedruckten Medien abzuschreiben. Ein Plädoyer für Print.
Das Internet macht den gedruckten Medien die Führungsrolle streitig: Tageszeitungen haben Leser und Inserate verloren. Verlagshäuser, Buchhändler und Autoren fragen sich, wie sie den E-Books Paroli bieten können. Und die Unternehmen stecken ansehnliche Budgets in die elektronische Kommunikation. Wo einst die Firmenbroschüre das Leitmedium war, ist es heute die Website.
Online nicht überschätzen
Der digitale Boom verleitet zur euphorischen Ansicht, das Web-Zeitalter mache gedruckte Medien überflüssig. Wie die Kommunikations-Landschaft in 100 Jahren aussehen wird, weiss heute niemand. Doch im Moment ist die These, Printmedien seien überflüssig, praxisfremd. Ebenso gut könnte man behaupten, im Zeitalter der Fastfoodketten brauche es keine Gourmetrestaurants mehr oder die Elektrofahrräder würden die Mountainbikes ablösen. Die Onlinemedien sind keineswegs das Mass aller Dinge. Ein paar Gründe:
Print ist nach wie vor beliebt
Exakt jene Konsumenten, die heute über die grösste Kaufkraft verfügen, sind mit gedruckten Zeitungen und Zeitschriften aufgewachsen. Nicht zuletzt deshalb sind Printmedien hierzulande nach wie vor sehr beliebt. Die Schweiz hat gemessen an der Einwohnerzahl die grösste Printmediendichte Europas. Im Zusammenhang mit Corporate Publishing besonders interessant: Die beiden grössten Print-Titel der Schweiz sind Unternehmensmedien, nämlich die Coop-Zeitung und das Migros-Magazin.
Jedes Medium hat Stärken und Schwächen
Ein weiterer Grund, Onlinemedien nicht zu überschätzen: Jeder Informationsträger, ob gedruckt oder elektronisch, hat seine Vor- und Nachteile. Ein Beispiel aus der internen Kommunikation: Das Intranet ist ein vielseitiges, schnelles Arbeitswerkzeug mit grossem Dialogpotential und der Fähigkeit, endlos Wissen zu speichern. Aber das Intranet kann schlecht – im Gegensatz zum gedruckten Personalmagazin – die Unternehmenskultur aufbauen, die Firma durch attraktive Storys greifbar machen sowie Identifikation und Orientierung bieten. Ein Intranet erreicht das Personal ohnehin nur, wenn alle Beschäftigten einen Computerarbeitsplatz haben. Eine Baufirma, eine Hotelgruppe oder ein Verkehrsunternehmen wie die SBB kommen um die gedruckte Personalinformation nicht herum.
Onlinemedien erreichen nicht jedes Ziel
Die Onlinemedien bringen das Papier nicht zum Verschwinden. Aber sie gehen neue Wege zum Kunden. Die alte Kommunikationsfrage «was sagen wir über welchen Kanal zu wem?» ist aktueller denn je. Gedruckte und elektronische Medien verfolgen unterschiedliche Ziele, bieten unterschiedlichen Nutzen und berücksichtigen unterschiedliche Bedürfnisse. Ein Verlagskunde mag Hörbücher, der andere kann damit nichts anfangen, er blättert lieber in einem richtigen Buch – weil er hier das Tempo bestimmen kann, weil er sich die Stimme einer Romanfigur selber vorstellen will oder einfach deshalb, weil er die gedruckte Literatur als kulturellen Reichtum schätzt. Elektronische Kanäle erreichen zudem nicht alle Kommunikationsziele. Es ist schön, wenn die Hotelwebsite das Angebot vorstellt und ein perfektes System für die Online-Buchung anbietet. Zur Stützung der Gästeloyalität entscheiden sich aber manche Hotels zusätzlich für einen gedruckten Newsletter oder für ein Kundenmagazin. Ausserdem: Wer eine hohe Wertigkeit vermitteln will, muss auf den Druck setzen: Man stelle sich eine Online-Festschrift zur 500-Jahr-Feier einer Stadt vor – undenkbar. Die Onlinepublikation könnte das Ereignis nicht ausreichend würdigen.
Druck: sinnlich und leicht lesbar
Online-Information ist flüchtiger als gedruckte. Die Forschung zeigt, dass gedruckte Texte leichter zu lesen und zu verstehen sind als Texte am Bildschirm. Weil der Konsum von Onlinematerial langsamer und ermüdender ist, werden digitale Infos haufenweise ausgedruckt. So jedoch überwälzen Unternehmen, die beispielsweise ihren Geschäftsbericht nur noch digital anbieten, die Druckkosten auf ihre Kunden. Ob das immer gut ankommt?
Die Unterschiede zwischen Online und Print beschränken sich aber nicht auf die Qualität der Rezeption. Printmedien bieten ein ganz anderes, sinnlicheres Leseerlebnis: Während Onlinemedien die Augen und das Gehör ansprechen, sind es bei Printprodukten zusätzlich der Tast- und der Geruchssinn. Grossformatige Printmedien bieten zudem die Möglichkeit der grosszügigen, emotionalen Gestaltung. Durch diese beiden Vorteile wirken gedruckte Medien beseelter. Und es kommt auch der Punkt, wo digitale Kommunikation Überdruss erzeugt: Den ganzen Tag am Computer arbeiten und dann zu Hause noch die Zeitung auf dem E-Reader lesen? Da sagen viele nein danke.
Print ist mobiler
Unter mobiler Kommunikation versteht man die standortunabhängige Kommunikation via Smartphone und ähnlichen Geräten. Und vergisst dabei, dass gedruckte Medien noch mobiler sind. Natürlich: Mit einem Buch kann man nicht surfen, es sei denn, man kaufe ein iPad. Doch möchten Sie Ihr iPad an den Strand mitnehmen, nur damit ein herumfliegender Ball das Gerät mit Sand zudeckt? Oder wollen Sie das Personalmagazin nur noch im Intranet anbieten? Kein Mensch würde wohl die Publikation lesen, erst recht nicht die Familien der Angestellten und die Pensionierten. Und da wäre noch der Kunde, der an der Frühlingsmesse unseren Stand besucht und gerne Informationen nach Hause nehmen möchte. Sollen wir ihn auf die Website verweisen?
Anderes Verständnis von Aktualität
Digitale Medien sind schnelle Medien. Sie eignen sich hervorragend zur Verbreitung von News. Doch wie viele News – auch unternehmensintern – brauchen wir? Und vor allem: welche? Das Klagelied: «We are overnewsed and underinformed» stammt aus der Zeit, als es noch kein Internet gab. Wenn der Satz damals stimmte, so stimmt er heute erst recht. Die längst nicht mehr zu bewältigende Flut an News wird genährt durch den Zwang zum Publizieren – durch fixe Sendezeiten, kurze Erscheinungsintervalle und durch die Dauerpublizität der elektronischen Medien. Überspitzt formuliert: Medien erscheinen nicht, weil sie etwas zu sagen haben, sondern sie müssen etwas sagen, weil sie erscheinen. Die Informationsmenge verdrängt die Qualität.
Informationen haben wir zuhauf. Doch sind es die richtigen? Entscheidend ist der Nutzen für das Publikum. Und dieser Nutzen, so meint man oft, bestehe in der zeitlichen Aktualität. Doch es gibt auch eine thematische Aktualität. Und damit zahlreiche Themen, über die man fast immer etwas Kluges schreiben und den Lesern Orientierung bieten kann. Und dafür eignen sich gedruckte Medien hervorragend. Statt darüber zu lamentieren, dass Kunden- oder Personalmedien – weil sie häufig nur vier- oder sechsmal jährlich erscheinen – nicht «aktuell» sein können, sollte man sich auf deren Stärken besinnen. Das heisst: Den Lesern Informationen bieten, mit denen auch noch übermorgen etwas anzufangen ist. Was nicht heisst, dass man die zeitliche Aktualität einfach ignorieren kann.
Gedruckte Unternehmensmedien: geringe Streuverluste
Ein weiterer Nachteil der Website und des Intranets: Sie unterliegen der Holschuld. Die Kunden und das Personal müssen selber aktiv werden, um an die Online-Informationen zu gelangen. Gedruckte Kunden- oder Personalmagazine hingegen müssen wir nicht stets von Neuem suchen oder einfordern – sie kommen automatisch zu uns. Aus diesem Grund sind bei Print die Streuverluste geringer als bei Onlinemedien. Natürlich beliefern uns auch Onlinemedien automatisch, zum Beispiel durch RSS-Feeds, SMS oder durch Postings und Statusmeldungen auf Facebook. Doch diese Informationen sind oft flüchtig, irrelevant und überfordern unsere Aufnahmekapazität.
Print sorgt für mehr Privatsphäre
In der Onlinewelt lässt sich alles kontrollieren: was man man liest, welche Musik man herunterlädt, wer die (vermeintlichen) Freunde sind. Daraus folgt: Je mehr man online kommuniziert, desto mehr bröckelt die Privatsphäre. Das stört viele Konsumenten offenbar kaum. Nicht zuletzt deshalb, weil sich die Jagd nach persönlichen Daten hinter dem Bonbon des Komfortgewinns tarnt. In der digitalen Welt sind die Nutzer nicht mehr länger die Herren über ihre eigenen Daten – das sollte unsere Euphorie etwas bremsen. Wer der Meinung ist, gewisse Daten würden niemanden etwas angehen, greift wenn immer möglich zur gedruckten Presse.
Medienrecht: ein besonderes Online-Problem
Mit dem Aufkommen der Mitmachmedien wie Blogs oder Facebook hat die sogenannte Demokratisierung der Medien Einzug gehalten, auch Citizen Journalism genannt. Doch mit (seriösem) Journalismus haben die Mitmachmedien oft wenig bis gar nichts zu tun. Jeder kann dort seine Meinung, auch wenn sie noch so abstrus ist, direkt in die Welt posaunen. Es gibt häufig keine Redaktion, die eine Aussage vor der Publikation auf Relevanz, Glaubwürdigkeit und Fairness prüft. Man kann über Nacht rufschädigende Inhalte verbreiten oder gegen Firmen und Prominente wettern – die Kritik muss nicht zuerst den Filter des Qualitätsjournalismus durchlaufen. Resultat ist eine digitale Müllkippe. Und manch einer, der einen Politiker beschimpft, weiss nicht, dass er soeben gegen das Gesetz verstossen hat. Unternehmen, die einen Blog anbieten, sollten deshalb auf die Einhaltung des Medienrechts achten, besonders auf den zivil- und strafrechtlichen Persönlichkeitsschutz. Die Herausgeber sind mitverantwortlich für das, was ihre Leser im Blog sagen.
Sind digitale Medien umweltfreundlich?
Digitale Medien scheinen umweltfreundlicher zu sein als Printmedien; digitale Medien brauchen kein Papier, keine Farbe, keinen Treibstoff zum Ausliefern der Information. Das stimmt, ist aber nur die halbe Wahrheit. Man kann sich fragen, ob es überhaupt möglich ist, die Umweltbilanzen von gedruckter und elektronischer Kommunikation bis ins Letzte zu ermitteln und einander gegenüberzustellen. Tatsache ist: Auch die Onlinekommunikation hat punkto Umwelt keine saubere Weste: Damit das Internet funktioniert, müssen unzählige Server und Klimaanlagen Tag und Nacht in Betrieb sein. Hinzu kommt weiterer Ressourcenverschleiss, zum Beispiel für die Produktion von Computern, Handys, iPads inklusive Entsorgung. Selbstverständlich werden die Geräte für die Auslieferung um die halbe Welt geflogen. Und nicht zuletzt brauchen die Nutzer Strom, wenn sie digitale Informationen konsumieren – im Gegensatz zum Lesen einer Zeitschrift.
Online braucht Print
Die Onlinemedien sind weit davon entfernt, die gedruckten Medien zu verdrängen. Im Gegenteil: Die Onlinemedien brauchen den Anklopfeffekt von Produkten wie Kundenzeitschriften. Sie erinnern den Kunden ans Unternehmen und sorgen – nicht zuletzt durch Crossmedia-Konzepte – für Zusatzverkehr auf den Web-Portalen. In der Regel genügt es nicht, die Leser mit einem elektronischen Newsletter zum Besuch der Website zu animieren. Der E-Newsletter hat oft zu wenig Ausstrahlung. Meist handelt es sich gar nicht um einen Newsletter, sondern um reine Werbung. Und die ist blitzschnell gelöscht.
Medien nicht gegeneinander ausspielen
Das vorliegende Plädoyer für Print soll die digitalen Medien nicht schlecht machen, sondern überzogene Erwartungen dämpfen. Kommunikationsfachleute tun gut daran, gedruckte Medien und Onlinemedien nicht gegeneinander auszuspielen, sondern ihre jeweiligen Vorteile zu schätzen und zu nutzen. Der Königsweg im Corporate Publishing liegt nicht in der radikalen Ablösung von Print durch Online oder in einer nostalgischen Rückkehr zu Print, sondern im durchdachten Zusammenspiel aller Kanäle.
Foto: Beat Hühnli