Branding: Tragen wir zu dick auf?

Sein und Schein in der Kommunikation. Ein Interview über die Grenzen der Imagepflege.

Image und Realität – zu diesem Thema befragte mich die österreichische Corporate-Publishing-Agentur Corporate Media Service in Graz. Daraus einige Kernantworten:

  • Am schwierigsten ist Imagepflege für Unternehmen, die grundsätzlich ein Problem mit ihrem Geschäftsmodell haben. Schwierig ist Imagepflege auch für Firmen, die nicht wissen, wer sie eigentlich sind.
  • Ein Text soll attraktiv sein, aber nicht blenden. Das verlangt Entscheide, die manchmal schwerfallen, beispielsweise den Verzicht auf eine schöne Formulierung, wenn sie haarscharf an der Wahrheit vorbeischrammt.
  • Deckungsgleichheit zwischen Sein und Schein, zwischen realer, kommunizierter und wahrgenommener Betriebswelt ist ein sehr hoher Anspruch, dem niemand ganz gerecht werden kann – der Vorgang der Imagekonstruktion ist zu vielschichtig.
  • Die entscheidende Frage ist: Wollen wir das Publikum nur beeindrucken oder streben wir nach Integrität in der Kommunikation?
  • Die beste Markenpflege besteht immer noch darin, vertrauenswürdig zu handeln und solide Arbeit im Kerngeschäft abzuliefen.

Das ganze Interview:

Ihre Diplomarbeit trägt den Titel «Corporate Publishing zwischen Image und Realität». Darin befassen Sie sich mit dem Balanceakt des Corporate Publishers zwischen Imagepflege und solider Information. In welchen Branchen ist es besonders schwierig, diesen Balanceakt zu meistern?
Am schwierigsten ist es wohl für Unternehmen, die grundsätzlich ein Problem mit ihrem Geschäftsmodell haben. Kürzlich sind in Kanada drei Tabakkonzerne zu einer Milliardenbusse verurteilt worden. Wie sollen diese Unternehmen ihr Image pflegen, wenn das Gericht sagt, sie seien für Lungen- und Kehlkopfkrebs verantwortlich? Schwierig ist Imagepflege auch für Firmen, die nicht wissen, wer sie eigentlich sind. Das Kennen des eigenen Charakters, der Stärken und Schwächen erachte ich als Grundvoraussetzung für gezieltes Reputationsmanagement.

Wie sind Sie auf dieses Thema für Ihre Studie gekommen? Stammt der Anstoss dazu aus der Praxis?
Mit dem Thema sah ich mich sofort konfrontiert, als ich für Unternehmen zu schreiben begann. Ein Text soll attraktiv sein, aber nicht blenden. Das verlangt Entscheide, die manchmal schwerfallen, beispielsweise den Verzicht auf eine schöne Formulierung, wenn sie haarscharf an der Wahrheit vorbeischrammt. Zudem müssen Redaktoren darüber nachdenken, ob die Methode, mit der sie die Botschaft verkaufen, den Leser anständig behandelt. Wenn wir eine unangenehme Tatsache publizieren müssen, können wir das klipp und klar sagen oder die Botschaft im Magazin verstecken, um später sagen zu können. «Wir haben darüber informiert.» Solche Entscheide sind heikel, weil dem Bedürfnis nach transparenter Information andere legitime Interessen entgegenstehen. Man will ja nicht unbedingt die Konkurrenz mit Argumenten gegen das eigene Unternehmen versorgen.

Das Image ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für Unternehmen. Sie schreiben: «Imagepflege ist ein Muss, aber auch eine Gratwanderung». Inwiefern ist die Imagepflege eine Gratwanderung?
Wer seriös informieren will, kommt nicht um den Balanceakt zwischen Transparenz und Wahrung eigener Interessen herum. Deckungsgleichheit zwischen Sein und Schein, zwischen realer, kommunizierter und wahrgenommener Betriebswelt ist ein sehr hoher Anspruch, dem kein Unternehmenspublizist bis ins Letzte gerecht werden kann – der Vorgang der Imagekonstruktion ist zu vielschichtig. Die entscheidende Frage ist: Wollen wir das Publikum nur beeindrucken oder streben wir nach Integrität in der Kommunikation? Wenn es nur darum geht, gut auszusehen, haben wir die Image-Diktatur. Ihr muss sich alles unterordnen – auch ethische Prinzipien.

Geht man als CP-Profi mit ebenso hehren, dem Leser, der Leserin verpflichteten Grundsätzen an die Arbeit wie idealerweise als Journalist?
Man sollte es zumindest versuchen und die Kriterien des Qualitätsjournalismus kennen. Nach meinem Berufsverständnis sind Corporate Publisher weder der verlängerte Arm der Geschäftsleitung noch Anwälte der Leser. CP-Profis sind Brückenbauer. Sie sollten darauf hinarbeiten, dass die Interessen beider Seiten gewahrt sind.

Wie sollte ein Image idealerweise aussehen? Wie weit darf es von der Realität abweichen?
Das ideale Image ist gleichzeitig positiv und realitätsnah. Wie weit es von der Realität abweichen darf, muss jedes Unternehmen selber prüfen, indem es fragt: Kommen wir mit dem jetzigen Image langfristig bei den Zielgruppen an? Dazu muss man natürlich das Image kennen. Hilfreich sind auch Fragen wie: Vermittelt die Kommunikation unser Selbstverständnis? Fühlen wir uns von der Bildwelt repräsentiert? Tragen wir irgendwo zu dick auf? Wie gross die Abweichung zwischen Image und Realität sein darf, hängt zudem davon ab, ob das Image besser oder schlechter ist als die Realität. Ein gutes Unternehmen mit schlechter Kommunikation kann sich meines Erachtens eine grössere Diskrepanz leisten als ein schlechtes Unternehmen mit guter Kommunikation. Die beste Imagepflege besteht immer noch darin, vertrauenswürdig zu handeln und solide Arbeit im Kerngeschäft abzuliefern. Was nicht heisst, dass man sich in der Kommunikation unter seinem Wert verkaufen soll. Wichtig bei allem ist zu wissen: Es gibt nicht das Image. Die Mitarbeiter sehen ihr Unternehmen anders als die Kunden, diese wiederum sehen es anders als die Investoren. Eine Firma ist kein homogener Block, sie besteht aus Menschen, die unterschiedlich denken und handeln. Folglich ist auch das Image nicht homogen. Eine Firma kann das Image weder «machen» noch kontrollieren – aber sie muss sich so positionieren, dass das Image den eigenen Wünschen und der Realität so nahe wie möglich kommt statt sich zu verselbstständigen.

Welche Rolle spielen Humor, Übertreibung oder Selbstironie in diesem Balanceakt zwischen Image und Realität?
Ich finde, Humor macht ein Unternehmen sympathisch, beugt einem Bürokratie-Image vor und begünstigt die Informationsaufnahme. Allerdings passt Humor nicht zu jeder Branche. Und man muss ihn dosiert und sinnvoll einsetzen, etwa in Form von Kolumnen oder Cartoons zu betriebsnahen Themen, sonst könnte es sein, dass die Leser uns nicht ernst nehmen. Mit Übertreibung und Selbstironie habe ich in Form von Satiren schon gearbeitet. Bei Satiren muss man das Thema sehr sorgfältig wählen und wissen, dass Satire nicht von allen verstanden wird.

Wie definieren Sie «Image» und warum konstruieren wir es überhaupt?
Das Image ist unsere Vorstellung über Unternehmen, Produkte, Städte, Länder, Personen. Ein Image konstruieren wir, weil wir gar nicht anders können. Wir machen uns automatisch ein Bild von allem, was ins Feld unserer Wahrnehmung rückt. Daraus versuchen wir unbewusst, Nutzen zu ziehen: Indem wir ein Image konstruieren, gewinnen wir reale oder vermeintliche Sicherheit, denn das Image grenzt ein Unternehmen gegenüber anderen ab und hilft uns so beim Prüfen von Alternativen. Weil das Image weniger komplex ist als die Realität, kommt es unserem Bedürfnis entgegen, Entscheide mühelos zu fällen. Das positive Image sendet Vertrauenssignale aus und verspricht uns eine Problemlösung. Nicht zuletzt kann ein Image sinnstiftend sein: Man fühlt sich beispielsweise bedeutsam, weil man Designermöbel ins Wohnzimmer gestellt hat.

Meinen Sie mit «Realität» die umfassenden Fakten? Da tut man sich bei Kundenmagazinen für Apotheken, Drogerien oder Pharmamarken besonders schwer. Gerade im Bereich Medizin/Gesundheit ist vieles umstritten – genau hier ist seriöse Information aber auch sehr wichtig.
Ja, seriöse Information ist in diesen Branchen schon deshalb sehr wichtig, weil die Gefahr besteht, dass man mit Kommunikation eine medizinisch unnötige Nachfrage erzeugt und zudem das Werbeverbot für bestimmte Medikamente umgeht. Das ist aus gesundheitlicher Sicht und vor dem Hintergrund exorbitanter Gesundheitskosten unangebracht und könnte eines Tages dem Image schaden. Letzte Woche habe ich zwei Magazine von Apothekenketten durchgeblättert und fand, dass die Redaktionen ihre Arbeit recht gut machen: Die Texte schüren keine Angst, sondern stehen mehrheitlich im Dienst der Gesundheitsförderung. Es wird zwar für Medikamente geworben, aber auch vor übertriebenem Konsum gewarnt.

Was passiert, wenn sich die Unternehmenskommunikation ein zu positives Image erlaubt? Und: Rechnen Kundinnen und Kunden nicht sogar mit gewissen Formen der Schönfärberei?
Wenn die kommunizierte Betriebswelt zu positiv von der realen Betriebswelt abweicht, enttäuscht man die Kunden, die nicht bekommen, was sie erwartet haben. Das illusorische Image, das sich in Luft auflöst, nährt Misstrauen. Das ist auch volkswirtschaftlich bedenklich: Falsche Versprechen sind schlechte Voraussetzungen für Prosperität, denn die Kontrollkosten schnellen in die Höhe und das Investitionsklima leidet. Verzerrte Realitäten provozieren auch falsche Entscheide: Wir kaufen vermeintlich sichere Wertpapiere und verlieren unser Geld. Wie Sie richtig vermuten, rechnen die Konsumenten mit Schönfärberei. Es gibt das Phänomen, dass Konsumenten die Illusion häufig bewusst suchen, weil die Illusion schöner ist als die Realität und deshalb das Leben erträglicher macht. Der amerikanische Historiker und Schriftsteller Daniel J. Boorstin schrieb bereits 1961, die Gesellschaft habe übertriebene Erwartungen an die Welt und versuche daher, die Realität durch Illusionen von sich fernzuhalten – durch medial geprägte Images, die schöner, spannender oder überzeugender seien als das Leben selbst.

In Ihrer Arbeit machen Sie auch Vorschläge, wie Corporate Publisher das Spannungsfeld von Image und Realität besser meistern können. Welche Vorschläge sind das?
Ich kann drei Vorschläge herausgreifen. Erstens: Es braucht vernünftige Budgets. Nicht nur für Grafik oder Programmierung, sondern vorab für die Recherche. Je mehr Corporate Publisher über ein Thema wissen, desto weniger stehen sie in Gefahr, realitätsverzerrende und damit potenziell imageschädigende Inhalte zu verbreiten. Zweitens: Jedes CP-Medium steht idealerweise auf einer Konzeptbasis. Wenn möglich ist das Konzept eingebettet in eine übergeordnete Kommunikationsstrategie, die sich mit der Unternehmensidentität und mit der Positionierung auseinandersetzt. Drittens: Was die Leser beschäftigt, muss auch den Redaktor beschäftigen. Er muss versuchen, das Meinungsklima zu erfassen, sonst leidet die Glaubwürdigkeit und der Informationsnutzen sinkt.

Kundenmagazin vs. Werbung: Welche Chancen für die Unternehmenskommunikation  ergeben sich aus dem journalistisch orientierten Medium Kundenmagazin? 
Eine besondere Qualität des journalistischen Produkts liegt in der spannenden Fülle von Textgattungen: Berichte, Reportagen, Porträts, Nutzwerttexte, Interviews, Magazinstorys. Die Formenvielfalt bildet das Unternehmen in einer Breite ab, die durch Werbung allein nicht möglich ist. Was wiederum den Lesegewinn erhöht und auf Kundenseite bessere Grundlagen für Entscheide schafft.

Welchen Vorteile hat es, wenn Unternehmen die Produktion ihres Kundenmagazins einem externen Partner (und nicht der eigenen Presseabteilung) anvertraut?
Externe Partner gehen objektiver, unvoreingenommener an das Thema heran. Sie stellen Fragen, die vielleicht die routinierten Fachleute des Auftraggebers längst nicht mehr stellen und darum am Leser vorbeischreiben. Und natürlich bringen externe Blattmacher das nötige Publishing-Wissen mit, das den meisten Unternehmen fehlt. Ob jemand die Produktion extern vergibt, hat meiner Erfahrung nach wenig mit der Größe des Unternehmens zu tun, dafür mit der Frage, wie wichtig dem Unternehmen professionelle Kommunikation ist.

Foto: Beat Hühnli

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Diplomarbeit Konzept und Projekt Medienarbeit

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