Content Marketing: Neu ist einzig der Begriff

Was Corporate Publishing schon seit Jahrzehnten leistet, wird unter der Flagge Content Marketing als neue Disziplin verkauft.

Die Kommunikationsbranche ist hoch spezialisiert. Ausdruck dieser Vielfalt: Es kursieren reichlich Fachwörter. Zu den bekanntesten gehören PR, Marketing und Werbung. Das umfangreiche Glossar wächst mit dem fachlichen und technischen Fortschritt. Es entstehen laufend neue Begriffe – etwa Cloud Publishing oder Affiliate Marketing.

Wortschöpfungen: wann?
Ein neues Wort ist in zwei Fällen sinnvoll: Entweder beschreibt es ein neues Phänomen. Oder es trifft die Sache besser als das bisherige. Was ist also davon zu halten, dass die Bezeichnung Content Marketing – vor Jahren in den USA entstanden – teilweise den Begriff Corporate Publishing (firmeneigenes Publizieren) abgelöst hat?

Definition des Content Marketing
Das Marktforschungsinstitut Zehnvier untersucht mit dem Branchenverband «Content Marketing Forum» (einst Forum Corporate Publishing) laufend die Entwicklung des Content Marketing in Europa. In einer Studie vom November 2016 wird Content Marketing so definiert – von mir übersetzt aus dem Englischen:

Content Marketing umfasst das ganze Spektrum inhaltsgetriebener Kommunikation, einschliesslich der herkömmlichen Medien (manchmal Corporate Publishing genannt).

Content Marketing

  • ist eine Form von Unternehmens-, Marken-, Produkt- oder Mitarbeiterkommunikation, die von relevanten redaktionellen Inhalten getrieben ist;
  • nutzt alle verfügbaren Medienkanäle wie Print, Video, mobil und online – einzeln und crossmedial;
  • schliesst die Kommunikation mit verschiedenartigem Zielpublikum ein, insbesondere mit Konsumenten, Geschäftskunden, Mitarbeitern und Investoren;
  • kann genutzt werden, um entlang der Customer Journey verschiedene Ziele zu erreichen, von der Steigerung des
  • Bekanntheitsgrades über Imagepflege und Kundenbindung bis zum Gewinnen neuer Kunden und zum Auslösen von Kaufentscheiden;
  • schliesst sowohl die kontinuierliche Kommunikation als auch zeitliche begrenzte Kampagnen ein.

Neue Medien – ja, sicher
Die Definition beginnt mit einem Missverständnis: Corporate Publishing hat sich nie auf die sogenannt herkömmlichen Medien wie gedruckte Magazine oder Jahresberichte beschränkt, es hat immer auch die jeweils neuen Medien genutzt. Will sich heute eine Firma multimedial präsentieren, ruckeln keine physischen Dias mehr durch den Hellraumprojektor, sondern man zeigt Videos. Hätten sich Corporate Publisher gegen den Fortschritt gesträubt, gäbe es keine Onlinemagazine und keine twitternden Redaktionen.

Definition: deckungsgleich
Zu den übrigen Punkten der Definition lässt sich sagen: Sie decken sich mit dem Selbstverständnis des Corporate Publishing. Was hier gesagt wird, trifft über weite Strecken sogar auf die klassische PR zu. Fazit: Content Marketing ist kein neues Konzept, keine neue Disziplin. Nur das Wort ist neu.

Marketing: vieldeutig
Ist der Begriff Content Marketing wenigstens treffender als Corporate Publishing? Nein. Denn Marketing ist mehr als Marktkommunikation: Marketing ist marktgerechtes und marktgerichtetes Verhalten unter Einsatz der vier absatzpolitischen Instrumente – Produkt, Preis, Vertrieb und Marktkommunikation. Diese Vieldeutigkeit macht den Begriff Content Marketing unpräzise. Besser umschrieben ist das unternehmerische Publizieren nach wie vor mit Corporate Publishing.

Synonym für Journalismus?
Der zweite Grund für die mangelnde Präzision: Mit dem Wort Marketing unterläuft das Content Marketing ausgerechnet sein Hauptmerkmal: die Produktion relevanter redaktioneller Inhalte. Das Wort Marketing wird für gewöhnlich – und irrtümlich – nur mit Werbung assoziiert. Das erschwert in den Köpfen das Hochhalten journalistischer Qualität. Kaum jemand denkt beim Wort Marketing an journalistische Formen und journalistische Kriterien. Corporate Publishing ist auch aus dieser Optik treffender.

Schwerpunkt Absatzmarkt
Marktkommunikation pflegt den Informationsaustausch mit Kunden und potenziellen Kunden. Das Schwergewicht liegt also auf der Kommunikation mit dem Absatzmarkt. Das ist ein weiterer Grund für Vorbehalte gegenüber dem Begriff Content Marketing. Corporate Publishing steht für eine offenere Sichtweise. Es pflegt schon lange den Austausch mit einem dispersen Publikum – dazu gehören nebst Kunden z.B. Mitarbeiter, Investoren, Journalisten und öffentliche Dienste.

Ab wann ist es Inhalt?
Eine weitere Irritation entsteht durch das Wort Content. Was ist Content? Qualifizierter Inhalt? Wenn ja, wo beginnt er? Qualifizierter Inhalt ist nicht zwangsläufig redaktioneller Inhalt. Fragen Sie Werbeagenturen, wie viel Denkarbeit in einem guten Claim steckt. Der Begriff Content Marketing tut so, als hätten alle Marketingleute bis vor Kurzem nur sinnfreie Arbeit geleistet und müssten jetzt zu «Inhalt» erzogen werden. Was ist das Gegenteil von Content Marketing? Inhaltsloses Marketing? Marktkommunikation ohne Inhalt gab es nie. Darum ist der Begriff Content Marketing pleonastisch – kein allzu gutes Aushängeschild für eine Disziplin, die mit hochwertigen Informationen glänzen will.

Lösen aus der Defensive
Woher kommt die Idee, mit dem Problembegriff Content Marketing den Begriff Corporate Publishing zu konkurrenzieren? Eine Vermutung: Marketingprofis beobachten mit Sorge, wie Budgets ins Corporate Publishing umgeschichtet werden. In der eingangs erwähnten Studie sagen rund 60 Prozent der befragten Schweizer Fachleute, Content Marketing (also Corporate Publishing) spiele im Kommunikationsmix künftig eine noch wichtigere Rolle. Mit dem Begriff Content Marketing will sich die Marketingbranche ihren Anteil am Kuchen sichern – das ist durchaus legitim.

Ringen um Marktanteile
Diese Taktik hat Sogwirkung: Weil die Corporate Publisher das Erreichte nicht preisgeben wollen, reden viele jetzt ebenfalls von Content Marketing. So bürgert sich der Begriff ein, ohne dass er fachlich überzeugt. Die Umbenennung ist ein Schachzug im Kampf um Marktanteile. Mag sein, dass Kunden auf den neuen Terminus anspringen, weil Marketing stärker nach Umsatz klingt als Publishing. Und vielleicht sitzt die Brieftasche lockerer für das Bezahlen von Wirkungsforschung. In dieser Hinsicht besteht im Corporate Publishing Nachholbedarf – was einen Befürworter des Begriffs Content Marketing zur Behauptung veranlasst hat, Content Marketing orientiere sich an den Bedürfnissen der Zielgruppen, Corporate Publishing dagegen nicht. Dieser Gedanke ist abwegig. Das Vorbeischreiben am Publikum kennzeichnet nicht eine Gattung, sondern mangelnde Professionalität.

Trend: mehr Koordination
Die Einführung des Begriffs Content Marketing hat einen Expertenstreit ausgelöst. Das ist positiv. Es wird einmal mehr deutlich, dass zwischen Marketing und PR Schnittmengen existieren – Elemente des Publishing fliessen ins Marketing ein und umgekehrt, durchaus gewollt, denn letztlich hängt alles mit allem zusammen. Das Bewusstsein für diese Tatsache unterstützt einen Trend, den man nur begrüssen kann: Strategisch und organisatorisch gehen die Zeiten offenbar zu Ende, in denen jede Disziplin ihr eigenes Süppchen kocht, die Kommunikation ist zu komplex geworden. In der genannten Studie sagen 83 Prozent der Schweizer Befragten, klassische Werbung und Content Marketing würden näher zusammenrücken und besser koordiniert werden.

Newsroom: die Zukunft?
Sicher wird es weiterhin nötig sein, die einzelnen Fachgebiete der Kommunikation gegeneinander abzugrenzen. Aus Gründen des Handwerks. Niemand kann alles. Man sollte wissen, was man tut, und z.B. Produkt-PR von Werbung unterscheiden können. Dennoch wünschen sich viele Experten eine bessere Verzahnung. 73 Prozent der Befragten sind überzeugt, dass immer mehr Unternehmen ihre Inhalte zentral über einen Newsroom oder Content Room steuern werden. Ein Newsroom bündelt die Themen und konzentriert die Kräfte. Zwar kann das Team im Newsroom nicht alles selbst machen. Aber es muss die Kommunikation kongruent gestalten – medienübergreifend und fachübergreifend, zeitlich und inhaltlich abgestimmt, nach aussen und nach innen.

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