Titel müssen Wort halten

Spannende Überschriften und Anreisser wecken den Leseappetit. Sie dürfen aber nicht flunkern.

Kurz vor der Fussball-WM 2006: Am Kiosk fällt das Auge auf ein Schweizer Nachrichtenmagazin. Von der Titelseite lächelt Pelé, die brasilianische Fussballlegende. Neben dem Portätbild steht der vielversprechende Anreissertext: «Pelé über die Chancen des Schweizer Nationalteams». Ganz klar, der Fussballfan muss dieses Heft kaufen.

Ist das alles?
Man blättert gespannt zum Interview. Der Journalist möchte wissen, ob die Schweiz das Zeug zum Fussballweltmeister habe: Antwort Pelé: «Offen gestanden zähle ich die Schweiz nicht zu den Aussenseitern mit Überraschungspotential. Die Mannschaft hat zu wenig Erfahrung in grossen Turnieren.» Aha, und weiter? Nichts weiter – Zitat Ende. Mehr darf Pelé nicht sagen. Die Schweizer Fussballer, so die überraschende Erkenntnis, verpassen mit grosser Wahrscheinlichkeit das WM-Finale. Darauf wären wir nicht gekommen. Gut, hat uns das Magazin aufgeklärt.

Das Foul am Leser
Ob Verkaufsmasche oder redaktioneller Fauxpas – Tatsache ist: Das Titelblatt hat zu hohe Erwartungen geweckt. Aufgrund des Anreissers erwarten die Leser eine interessante Expertenmeinung, zumindest aber ein paar Einsichten zur Lage der Schweizer Fussballnation. Doch der Text hat nichts zu bieten, was den Erwartungen auch nur annähernd gerecht würde – ein Foul am Leser. Das Magazin hat ihn mit einer Mogelpackung geködert.

Vertrauen angeknackst
Mogelpackungen gibt es nicht nur in Zeitungen und Zeitschriften, deren Schicksal vom Kioskverkauf abhängt. Zu dick aufgetragen wird mitunter auch im Corporate Publishing: in Kunden- oder Personalmagazinen, Medienmitteilungen oder auf Firmenwebsites. Da wird im Titel munter das «innovative Produkt» beschworen, das sich beim genauen Lesen als profanes Mineralwasser entpuppt. Eine Überschrift, die nicht Wort hält, ist wie ein Biss in schönes, aber faules Obst: ungeniessbar, enttäuschend.

Tipps fürs Titeln

  • Achten Sie darauf, dass Überschriften und Anreisser weder blenden noch langweilen. Kein Lesevergnügen bereiten Überschriften, die inhaltsarm sind oder Klischees bedienen. Beispiele: «Veränderung als einzige Konstante», «Zurück zur Natur», «Automation und Workflow».
  • Schreiben Sie die Überschrift erst, wenn der Text fertig ist – es sei denn, Sie haben einen Geistesblitz, der auf Anhieb funktioniert.
  • Bringen Sie im Titel die zentrale Aussage des Textes auf den Punkt – je nachdem wortwörtlich oder sinngemäss. Die Aussage kann rein informativ sein (20 Millionen Gewinn) oder interpretierend (Auf Erfolgskurs). Oder überraschen Sie die Leser mit einem ungewöhnlichen Detail oder einem interessanten Zitat.
  • Üben Sie Zurückhaltung bei Wortspielen: Bekannte Wortspiele wirken abgedroschen. Und wer ein neues, originelles Wortspiel finden will, braucht ein hohes Mass an Kreativität. Ein weiteres Problem: Wortspiele sind oft nicht übersetzbar und daher für mehrsprachige Publikationen eher ungeeignet.

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